Sexualisierte Gewalt im (Judo-) Sport

Foto: Kathrin Harms
Marie Dinkel lebt mittlerweile in der Schweiz und war aufgrund der Corona-Pandemie per Video zugeschaltet, um ihre Geschichte zu erzählen

Das Thema „Sexualisierte Gewalt im Sport“ wird leider noch zu oft tabuisiert. Das öffentliche Hearing der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs im Rahmen des Schwerpunktes Sport am 13.10.2020 war daher ein erster Schritt in die richtige Richtung. 

30.10.2020

Das öffentliche Hearing wurde online und mit wenigen Teilnehmenden vor Ort durchgeführt. Betroffene und weitere Expertinnen und Experten aus dem Sport, der Politik und der Wissenschaft sprachen dabei über ihre Erfahrungen und die Aufarbeitung sexueller Gewalt im Sport.

Entschuldigung bei allen Betroffenen

Dr. Petra Tzschoppe, Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), entschuldigte sich vor Ort, im Namen des DOSB bei allen Betroffenen für das ihnen widerfahrene Leid.

Der Deutsche Judo-Bund (DJB) möchte sich ausdrücklich dieser Entschuldigung anschließen und wird das Thema „Sexualisierte Gewalt im Sport“ auch in Zukunft in den öffentlichen Fokus rücken und Verbände und Vereine in Deutschland für diese wichtigen Inhalte sensibilisieren. Nur wenn alle Verbände, Vereine und Judoka an einem Strang ziehen und die Mauer des Schweigens durchbrochen wird, können sich die Opfer einer Vertrauensperson zuwenden. 

Ehrliche und ernste Worte

Im Mittelpunkt des Hearings standen von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen. Die Mitglieder der Kommission, Dr. Christine Bergmann und Matthias Katsch, sprachen mit drei Personen, die in unterschiedlichen Sportarten, sexuelle Gewalt in ihrer Kindheit und Jugend erlebt haben. Von weiteren zwei Betroffenen wurde die Geschichte vorgetragen. Es gehört viel Mut dazu, mit seiner eigenen Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen und dadurch anderen Opfern Mut zu geben und in gewisser Weise dem Thema „ein Gesicht zu geben“. 

Bei einer der Betroffenen handelt es sich um die Judoka Marie Dinkel. Per Videochat zugeschaltet, erzählte sie ihre Geschichte, wie sie damit in der Vergangenheit umging und was sie sich für die Zukunft wünscht. 

Marie Dinkel trainierte in einem Judoverein in dem ein Trainer tätig war, der den engen Körperkontakt bei den Partnerübungen und seine körperliche Überlegenheit ausnutzte, um Macht und sexuelle Gewalt auszuüben. Die Folgen des Missbrauchs zum Teil in Form von starken Panikattacken mit depressiven Episoden spürte Marie Dinkel erst Jahre später. Eine Therapie half ihr, damit umzugehen – und ihr Sport, den sie sich „nicht kaputt machen lassen wollte“. 

Am 13.10.2020 fand das Hearing statt und erzeugte ein großes Medien-Echo

Heute ist Marie selbst Judotrainerin, auch deshalb, weil sie hofft, dass sie mit dem Erlebten anderen helfen kann. Sie berichtete, dass immer noch die Offenheit für das Thema Kindesmissbrauch im Sport fehlt. Selbst als sie gegenüber ihren Trainerkollegen von dem eigenen Missbrauch erzählte, hatte sie das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.

„Mein Wunsch wäre, dass mehr hingeschaut wird. […] Da wird so viel totgeschwiegen.“

Marie Dinkel spricht offen und ehrlich über das ihr widerfahrene Martyrium und möchte zu einem Wandel in den Sportvereinen beitragen.

Keine Kultur des Sprechens und Zuhörens

Oft wird in diesem Zusammenhang von Einzelfällen gesprochen, aber jeder „einzelne Fall“ ist einer zu viel. Und auch die Kommissions-Vorsitzende Sabine Andresen möchte diesem Bild auch vehement entgegenwirken. „Es ist jetzt Zeit für den Sport, Verantwortung für Aufarbeitung zu übernehmen“. Denn eines will man nicht aufkommen lassen: Den Eindruck, es würde sich bei allen Taten um Einzelfälle handeln. In den Gesprächen habe sich schnell der Eindruck verfestigt: „Bisher gibt es im Sport keine Kultur des Sprechens und Zuhörens."

Der Deutsche Judo-Bund (DJB) möchte dazu beitragen, dass sich betroffene Personen anvertrauen und Anlaufstellen nutzen. Die Kultur des Schweigens muss sich in eine Kultur des Sprechens und Zuhörens wandeln. Maximilian Klein von Athleten Deutschland e.V. im Rahmen des öffentlichen Hearings hierzu: „Ich kann einen Strukturwandel zwar fordern, brauche natürlich aber auch einen flächendeckenden Kulturwandel.“

Um dies zu erreichen, muss „der Finger in die Wunde gelegt“ und das Thema „Sexualisierte Gewalt im Sport“ offen angesprochen werden. Das aktuelle Judo-Magazin beschäftigt sich ebenfalls in seiner Titelstory mit diesem wichtigen Thema.

Sensibilisieren, Aufwecken, Hinsehen, Zuhören, Agieren

Der Deutsche Judo-Bund hat sich in der Vergangenheit schon intensiv mit Sexualisierter Gewalt im Judosport beschäftigt und neben zuständigen Ansprechpersonen im Verband auch ein Präventionskonzept entwickelt. Gemeinsam mit weiteren Materialien und dem eigens entworfenen Plakat „Starke Judoka“  kann man alle relevanten Informationen auf der DJB-Website finden: 

Eine Kultur des Hinschauens und des offenen Aussprechens, muss in allen Organisationen und auf allen Ebenen verankert und gelebt werden. Um dies zu erreichen, müssen alle Sportverbände, Vereine und die Mitglieder zusammenarbeiten. Der DOSB erbittet ausdrücklich die aktive Mithilfe aller Mitgliedsorganisationen und ist für Ideen und Vorschläge zum weiteren Vorgehen offen.

Der Deutsche Judo-Bund (DJB) wird weiterhin sensibel, aber offensiv mit diesem Thema umgehen, möchte die dem DJB angeschlossenen Vereine aufwecken und zum Hinsehen und Zuhören animieren! Die Unversehrtheit der Sportler/innen muss dabei oberste Priorität haben.

Sollten Fälle von sexueller Belästigung oder Missbrauch bekannt werden, ist direktes Handeln, Agieren und Aufarbeiten der Geschehnisse unabdingbar. Nur so können zukünftige junge Athleten/innen geschützt werden. Aktuelle Fälle zeigen deutlich, dass diese Taten nun strafrechtlich verfolgt werden und Auswirkungen haben. 

Medienlinks zum Hearing 

Hier noch eine Übersicht zur Berichterstattung:

Deutschlandfunk mit einer positiven Bewertung zum Beitrag von DOSB und dsj beim Hearing 
https://www.deutschlandfunk.de/sexuelle-gewalt-das-schweigen-soll-ein-ende-haben.890.de.html?dram:article_id=485738 

Spiegel
https://www.spiegel.de/sport/marie-dinkel-ueber-sexuellen-missbrauch-im-sport-ich-war-wie-versteinert-a-00000000-0002-0001-0000-000173444543 

Frankfurter Allgemeine
https://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/durch-die-tabuisierung-von-sexuellem-missbrauch-im-sport-werden-taeter-geschuetzt-17000123.html 

Süddeutsche Zeitung
https://www.sueddeutsche.de/sport/sexueller-missbrauch-gewalt-sport-1.5068453 

Tagesschau 
https://www.tagesschau.de/sport/sportschau/sportschau-story-33113.html 

Presseerklärung des BMI 
https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/sport/erwartungen-an-den-dosb.pdf?__blob=publicationFile&v=2 

Alle Videos des Hearings
https://www.aufarbeitungskommission.de/mediathek/format/video/