Zum Inhalt springen
02.07.2025

Das erste Mal

Sebastian Richly ist Journalist und arbeitet für die Augsburger Allgemeine. Er stellte sich das erste Mal der Herausforderung der Sportart Judo.

Sebastian Richly/Birgit Arendt

O goshi! Felix Müller wirft Sebastian Richly auf die Matte. Foto: Andreas Lode

Sebastian Richly betrat Anfang Juni das erste Mal in seinem Leben eine Judo-Matte. Was für einen Judoka völlig normal ist, ist für jemanden, der noch nie einen Judogi getragen hat, eine riesige Herausforderung. 

Er schreibt in der Augsburger Allgemeinen über seine erste Erfahrung mit unserer Sportart, die er im Polizeisportverein Königsbrunn machte. Er gibt den Text für den DJB frei. 

 

O goshi! Während ich mir noch Gedanken mache, was das bedeutet, werden mir die Beine weggezogen und Felix Müller wirft mich über seine Schulter. Zum Glück falle ich weich, denn bei den Judoka des Polizei SV Königsbrunn werden solche Techniken auf Matten geübt. Anscheinend habe ich aber selbst in der Opferrolle nicht alles richtig gemacht. „Die ausgestreckte Hand muss auf die Matte klatschen“, sagt Trainer Johannes Daxbacher. Beim nächsten Mal strecke ich gerade noch rechtzeitig die Hand aus. Weitere fünf Würfe später bin ich ein Meister, was das betrifft. Zugegeben: Geworfen zu werden ist vergleichsweise angenehm, denn beim Judo komme ich ganz schön außer Puste. Von erschreckend starken Jugendlichen, einem Muskelkater an ungewohnter Stelle und der Kunst des Fallens.

Doch von vorne: Die erste Hürde lauert schon im Umkleideraum. Wie ziehe ich diesen Anzug an? Johannes Daxbacher hilft mir, wobei ich später feststellen werde, dass mir der Anzug etwas zu groß ist, während der Übungen verrutscht er öfter. Obenrum trägt man nichts drunter, was sehr ungewohnt ist. Dann kann es endlich los gehen - oder doch nicht? Zunächst erhalte ich von Johannes Daxbacher und seiner Frau Regina eine Anweisung: „An erster Stelle steht, den anderen nicht zu verletzen. Das ist das Wichtigste“, erklärt das Judo-Ehepaar, das den Sport seit vielen Jahrzehnten ausübt und sich dort auch kennengelernt hat. Überhaupt spielt der Respekt vor dem Gegner eine große Rolle. Das bekomme ich schnell mit, denn so oft wie an diesem Tag verbeuge ich mich sonst jahrelang nicht.

Kaum ein Entkommen: Lars hält den Redakteur am Boden, trotz Gewichtsnachteil - Foto: Andreas Lode

Zum Warmmachen gehe ich mit dem Nachwuchs der Königsbrunner Judo-Abteilung auf die Matte. Zwischen vier und 14 Jahren sind meine Nebenleute alt. Es geht los mit Bocksprüngen, über weitere Sprungübungen und der von mir gefürchteten Rückwärtsrolle. Noch habe ich mich nicht blamiert, aber nun sehe ich Potenzial. Ich warte erst einmal ab, schaue den anderen zu. Die haben natürlich mehr als 20 Jahre weniger auf dem Buckel und in den Knochen. Johannes Daxbacher macht es mir noch einmal vor. So geschmeidig wie der erfahrene Judoka werde ich es wohl nicht hinbekommen, doch mein Ehrgeiz ist geweckt. Beim ersten Mal bewältige ich die Rolle gerade so und bin froh, dass ich mir nicht wehgetan habe. Die Kinder versuchen, ihr Grinsen zu verstecken. Das kann ich besser, denke ich, und schon beim zweiten Mal sieht es meiner Meinung nach ganz gut aus. Drei Rollen später ist auch Daxbacher zufrieden.

Doch das war alles nur Warmup, jetzt geht es in die Kampfübungen. Wobei ich schon sehr angestrengt bin und ordentlich schwitze. Zunächst ringe ich mit Leo. Er ist ein wenig größer und etwas schwerer als ich - der Einzige in meiner Gewichtsklasse. Daxbacher zeigt mir die richtigen Griffe am Anzug des Gegners, und wir trainieren einige kleinere Würfe. Ich habe in meinem Leben noch nie Kampfsport gemacht und tue mich am Anfang schwer. Eher zögerlich gehe ich vor, während mein Kontrahent deutlich weniger zimperlich ist. Doch mit jedem Griff und jedem Wurf weicht die Zurückhaltung, und auch ich traue mich, meinen Gegner auf den Rücken zu befördern und ihn nicht mehr aus meinem festen Griff zu lassen. Das gelingt mir ganz gut, auch beim Befreien aus der Zwangslage schlage ich mich gut, wobei ich mittlerweile mit Lars „im Clinch“ liege. Er wiegt allerdings 20 Kilo weniger als ich.

Die 12-jährige Alara bringt den Redakteur an seine Grenzen. Foto: Andreas Lode

Mein Gewicht ist mein Vorteil, denn technisch bin ich hoffnungslos unterlegen. Ich tue mich schwer mit den Griffen, muss immer mal wieder nachfragen. Wo muss ich greifen? Wie lege ich mich nochmal auf den Gegner drauf? Wie falle ich am besten? Es gibt ganz schön viel zu beachten. „Beim Judo geht es nicht nur um Kraft, sondern um die Technik. Man braucht eine gute Körperbeherrschung, Koordination und man sollte beweglich sein“, so Johannes Daxbacher. Ich als Fußballer mache mir gerade beim letzten Punkt so meine Sorgen. Je öfter ich die Griffe und Würfe ausübe, desto besser wird es und es fängt an, richtig Spaß zu machen. Gerade als ich voll drin bin, kommandiert mich Daxbacher zu den Leistungssportlern ab.

Die werden von seiner Frau Regina trainiert und nehmen sogar an Weltmeisterschaften teil. Beim Anblick der Modellathleten wird mir etwas mulmig. Immerhin darf ich zunächst gegen Niklas Borowinski ran. Er wiegt 15 Kilo weniger als ich. Trotzdem habe ich keine Chance, mich zu befreien. Immerhin kann ich ihn einmal rund zehn Sekunden unten halten, 20 Sekunden wären nötig, um die Matte als Sieger zu verlassen. Danach geht es gegen Oliver Stefan, der mich mit seinen 120 Kilo mühelos nach oben befördert. Noch ein paar Mal werde ich auf die Matte geworfen, ehe die eigentlichen Sportler wieder loslegen. Bei deren Intensität bin ich froh, dass es für mich wieder zum Nachwuchs geht.

Doch auch hier geht es jetzt richtig zur Sache. „Alara, pass auf den Herrn Richly auf“, sagt Johannes Daxbacher. Ich muss ein wenig schmunzeln: Alara ist 13 und wiegt nur halb so viel wie ich. Dafür ist das Mädchen aber ganz schön stark. Zunächst stehen zwei Minuten lang Griffübungen an, ständig ist man in Bewegung, muss mit den Füßen die Bewegungen des anderen ausgleichen. Wie lange können eigentlich zwei Minuten sein, denke ich mir, während mir vom Im-Kreis-Rangeln beinahe schwindelig wird. Doch eine Pause bekomme ich nicht. Es stehen Kampfübungen an. Und jetzt weiß ich, was Daxbacher gemeint hat. Obwohl Alara deutlich kleiner und leichter ist, schafft sie es, sich aus meinem Griff zu lösen. Andersherum tue ich mir wirklich schwer, aus ihrem zu kommen. Nur mit Einsatz jedes einzelnen Oberschenkelmuskels komme ich heraus. Diese Anstrengung werde ich auch Tage später noch spüren.

Regina und Johannes Daxbacher - Foto: Andreas Lode

Nach weiteren, vor allem ausdauernden Übungen, ist für mich dann Schluss. Die Kinder und Jugendlichen gehen zu noch komplizierteren Techniken über. Ich bin froh, dass ich nicht mehr auf der Matte stehe, denn ich möchte weder mich noch meinen Trainingspartner verletzen und bei meiner Koordination hätte ich Angst, jemandem den Fuß an den Kopf zu schlagen. Stattdessen zeigt mir Johannes Daxbacher noch ein paar Griffe. Gegen den 62-Jährigen habe ich erst recht keine Chance. Der Profi hat in seinem Alter nicht nur eine saubere Technik, sondern immer noch eine Menge Kraft.

Dann habe ich Feierabend. Erschöpft schäle ich mich aus dem mittlerweile doch sehr verschwitzten Anzug. Ich bin ziemlich aus der Puste, obwohl ich effektiv vielleicht eine Stunde trainiert habe. Bei der Leistungsgruppe können es auch mal bis zu drei Stunden sein. Ich verabschiede mich, allerdings nicht ohne eine Bewertung. Hannes Daxbacher ist zufrieden. „Das sah schon ganz gut, vor allem beim Fallen hat es sehr gut geklappt. Das darf man nicht unterschätzen, denn Fallen ist eine Kunst.“ Zumindest das beherrsche ich nun. Mein rechter hinterer Oberschenkel beschwert sich dennoch auch Tage später über meinen Judo-Einsatz. Und während der Muskelkater mich beim Aufstehen eiskalt erwischt, höre ich noch die Worte von Johannes Daxbacher: „Judo deckt die Schwachstellen gnadenlos auf.“ Da hat er absolut recht. Spaß hat es dennoch gemacht, doch für das nächste Mal muss ich noch an Beweglichkeit und Ausdauer arbeiten. Und ich weiß jetzt, was o-goshi bedeutet. Beim nächsten Mal lasse ich mich nicht über die Hüfte auf den Boden werfen - zumindest nicht so leicht.

Title

Title