ID Judo in Deutschland

David Lenzen

Man muss schon mehr als 30 Jahre zurückblicken, um sich zu erinnern, wie alles begann. Im April 1984 lud Lothar Claßen, Vater und Trainer unserer ersten Judo-Weltmeisterin Judo-Behinderten-Gruppen zu einem ersten gesamtdeutschen Event ins badische Grenzach-Wyhlen ein.

Sieben oder acht Judogruppen aus dem gesamten Bundesgebiet demonstrierten in der Hochrheinhalle ihre Trainingsprogramme.

Natürlich gab es auch vorher schon einige Judo-Behinderten-Gruppen in unseren Vereinen und einzelne  Veröffentlichungen zur Thematik. Der Hamburger Judo-Lehrer Reinhard Lötje schaffte es sogar schon in den 70er Jahren mit seinen blinden und sehbehinderten Judoka in das „Aktuelle Sportstudio des ZDF.

Eine erste größere Veröffentlichung mit positiven Erfahrungen bei körperbehinderten Kindern präsentierte der  Wolfsburger Kinderarzt Khosrow Amirpour  1977 mit seinem Buch  „Judo als Rehabilitationssport“. 1980 erschien Riccardo Bonfranchis „Sport als erziehungstherapeutisches Mittel für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche“ in dem er eigene Untersuchungen aber auch verschiedene Erfahrungsberichte unterschiedlicher Autoren wie Gärtner, Clemens, Putzka u.a. vorstellte.

Aber 1984 stieß Lothar Claßen mit der ersten   deutschlandweiten Veranstaltung mit behinderten Judoka im Deutschen Judo-Bund eine Tür auf und damit einen Start in eine Herausforderung, die mehr und mehr zu einem wesentlichen Teil meines Lebens wurde. Noch im Herbst des gleichen Jahres  kam es zu einem ersten bundesweiten Judo-Behindertenlehrgang im BLZ Köln. Neben 30 Teilnehmern mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen aus ganz Deutschland und auch aus  Frankreich nahmen  zehn zum Teil  erfahrene Trainer an dem Lehrgang teil. Es war meine erste Lehrgangsleitung. Und obwohl ich als 3. Dan langwierige Trainererfahrungen in meinen Verein gesammelt und mein sonderpädagogisches Studium mit dem Fach Sport bereits abgeschlossen hatte, sah man mir  wohl die große Unsicherheit der ersten Trainingseinheit an, so dass Lothar Claßen auf mich zukam, mir auf die Schulter klopfte, sagte: „Junge, das machen wir jetzt“ und die erste Lehrgangseinheit übernahm. Ich erinnere mich, dass wir Trainer häufig  bis spät in die Nacht die nächsten Trainingseinheiten diskutierten, immer vor dem Hintergrund und der Befürchtung, dieser oder jener Bewegungsablauf könnte für einzelne Teilnehmer kontraindiziert sein und ihnen schaden.

Den Abschluss des Lehrgangs bildete eine gemeinsame Trainingseinheit mit dem damaligen Jugendleiterlehrgang von Mario Kwiat, denn deren Teilnehmende schauten doch immer wieder sehr interessiert  und fragend zu uns  rüber, was  für interessante Gestalten sich in welcher Form  auf der Judomatte nebenan bewegen würden

Heute gibt es auch viele internationale Wettkämpfe - ID Judo WM 2019

Dieser erste Judolehrgang im Oktober 1984 bildete über viele Jahre als „Herbstlehrgang“  das Gerüst und einen ersten Zugang für am Judo interessierte Sportler mit einer Behinderung. Der Deutsche Judo-Bund nahm die neuen Tendenzen im Behinderten-Judo erstaunlich positiv auf. Bereits 1985 wurde im DJB ein Arbeitskreis „Behinderten-Judo“ gebildet. Erster Vorsitzender war der Heidelberger Judolehrer Adolf Gärtner, selbst einer der Judo-Behinderten-Pioniere. In ein bis zwei jährlichen Sitzungen mit Teilnehmern aus einigen Landesverbänden wurden die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten des Behinderten-Judo im DJB diskutiert.  

Auch gab es erste Kooperationen mit dem Deutschen Behindertensportverband. 1987 wurde im BLZ Köln ein erster gemeinsamer Modelllehrgang durchgeführt. Leider konnten sich die beiden Spitzenverbände nicht über die Vergabe von Lizenzen einigen, so dass es bis heute leider bei diesem ersten gemeinsamen Modelllehrgang geblieben ist.

Aus dem ersten Judo-Event 1984 entwickelte sich im Laufe der nächsten Jahre das DJB-Integrationssportfest, das über viele Jahre die einzige Judo-Behinderten-Veranstaltung in Deutschland war. Aus der Trainings-Demonstration der angereisten Judo-Gruppen wurden  nach und nach mannschaftliche Wettbewerbe. Aber, wie auch bei Jigoro Kanos Beginn des Judos, spielten Judo-Wettkämpfe der behinderten Teilnehmer zunächst keine Rolle. Zu groß war noch die Befürchtung, dass bei einer evtl. schweren Verletzung die Sportart Judo als sinnvolles Bewegungsangebot für behinderte Menschen hinterfragt werden könnte Wettbewerbe bei den ersten Integrationssportfesten bezogen sich auf koordinative Ball-, Geschicklichkeits- und Zielspiele, Demonstration von einzelnen Judotechniken, simultanen mannschaftlichen Fallübungen…. Um den unterschiedlichen Bewegungsmöglichkeiten der Teilnehmer gerecht zu werden (Blinde, Gehörlose, Körper- und Geistigbehinderte) konnten sich einzelnen Mannschaften aus den vielen Angeboten eine bestimme Anzahl Übungen aussuchen, die es zu absolvieren galt. Die punktbesten Mannschaften wurden zum Ende der Veranstaltungen in einer würdigen Siegerehrung jeweils mit Pokalen und Medaillen geehrt.

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